Eröffnung und Medientage-Gipfel: More relevant than ever

Systemrelevanz in Zeiten der Multiprobleme

Umgeben von Multiproblemen wie Corona-Krise, Ukraine-Krieg sowie wachsenden Gefahren für Erd- und Meinungsklima befindet sich die Medienbranche in einem Transformationsprozess mit ungewissem Ausgang.

Einerseits erfahren Medien und Journalismus eine zunehmende gesellschaftliche Relevanz. Andererseits geraten klassische Geschäftsmodelle wegen eingetrübter Konjunkturausaussichten unter Druck. Dies ist zum Auftakt der 36. MEDIENTAGE MÜNCHEN deutlich geworden.

Dr. Thorsten Schmiege, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) und Vorsitzender der Gesellschafterversammlung der Medien.Bayern GmbH, unterstrich in seinem Grußwort die „Systemrelevanz“ der Medien. In Zeiten wachsender Unsicherheit würden digitale Technologien „omnipräsenter und auch gefährlicher denn je“, sagte Thorsten Schmiege und verwies auf Verschwörungstheorien, Fake News und Propaganda. Der Krieg in der Ukraine bedeute auch einen Angriff auf die Informations- und Meinungsfreiheit. Umso wichtiger werde ein Qualitätsjournalismus, der außer auf Qualität auch auf Glaubwürdigkeit und Vertrauen basiere. Wer relevant bleibe wolle, müsse „auf Augenhöhe“ berichten und die Sprache des Publikums sprechen. Außerdem sei in einem von Algorithmen und Intransparenz geprägten Markt staatsferne Regulierung „relevanter denn je“, um freie und pluralistische Medien zu schützen.
„Medien haben in Krisen besondere Funktionen“, betonte Dr. Markus Söder. Der bayerische Ministerpräsident machte auf das Dilemma aufmerksam, dass es nie zuvor mehr wissenschaftliche Erkenntnis und Partizipationschancen gegeben habe, sich heute aber trotzdem Verschwörungserzählungen „ohne Ende“ verbreiten würden. So würden Unsicherheiten geschürt, um Meinungen zu prägen und destabilisierende Themen zu etablieren. Deshalb müssten Medien Menschen eine „Einordnungskompetenz“ vermitteln, um den „objektiven Kern“ von Ereignissen sichtbar zu machen.

„Aus bösen Worten können böse Taten werden“, warnte Markus Söder vor gefährlichen und die Demokratie destabilisierenden Folgen der Desinformation. Grundsätzlich sei eine Balance zwischen Information und „Meinungsprägung“ schwierig. Haltung und Handwerk aber seien „verschiedene Dinge“. Manche Reaktionen würden einem „Aktivisten-Camp“ ähneln, kritisierte der bayerische Ministerpräsident. Außerdem hänge die Glaubwürdigkeit von Journalismus davon ab, ob sich die Branche an die eigene Moral halte. Geschehe dies nicht, drohe ein Vertrauensverlust wie im Fall des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB). Markus Söder forderte in diesem Zusammenhang mehr Transparenz öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten in Bezug auf Gehälter, Vergünstigungen und Nebentätigkeiten ihrer verantwortlichen Akteure. Als Beispiele nannte er entsprechende Regeln, wie sie für deutsche Parlamente gelten würden.

Mit Blick auf das deutsche Rundfunksystem unterstrich der bayerische Ministerpräsident, die Zeiten eines strikten Antagonismus zwischen öffentlich-rechtlichem und privatwirtschaftlichem Rundfunk seien vorbei. Angesichts der Konvergenz der Medien, bei der alles verschmelze, gehe es inzwischen um andere Herausforderungen. Mit Blick auf die Erhöhung von Anteilen an der ProSiebenSat.1 Media SE durch ein italienisches Unternehmen der Familie Berlusconi merkte Markus Söder an, er wolle nicht, dass andere Regierungen die ProSiebenSat.1 Media SE dominieren könnten. Deren Vorstandsmitglied Wolfgang Link sagte, das Medienunternehmen mit Sitz in Unterföhring sei seit drei Jahrzehnten mit Bayern verbunden und wolle dies auch weiterhin eigenständig fortsetzen. So werde zurzeit eine eigene Nachrichtenredaktion aufgebaut, um verlässliche Informationen zu gewährleisten. Dadurch werde die vor zwölf Jahren erfolgte Auslagerung der News-Bereichs rückgängig gemacht. Angesichts sich radikal verändernder Märkte gelte es, sich konsequent an den Bedürfnissen des Publikums zu orientieren. Zu diesem Zweck setze ProSiebenSat.1 im Streaming-Bereich vor allem auf die Plattform Joyn als werbefinanziertes, frei zugängliches Angebot. Wolfgang Link lobte zwar grundsätzlich den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wandte sich aber gegen Werbung in öffentlich-rechtlichen Mediatheken. Da gehe ihm „der Hut hoch“. Er forderte faire Wettbewerbsbedingungen im dualen Rundfunksystem. Andernfalls entstehe eine „Schieflage zu Lasten der Meinungsvielfalt“.

Zur Entwicklung in der Ukraine merkte das Vorstandsmitglied von ProSiebenSat.1 Media in seiner Keynote an: „Putins Kanonen versuchen auch, das demokratische Mediensystem zu treffen.“ Fake News und Propaganda würden sich so schnell verbreiten „wie das Corona-Virus“. Jetzt werde deutlich, wie wichtig Staatsferne und unabhängige Medien seien. Als anschließend Sebastian Pufpaff, der erstmals den Medientage-Gipfel moderierte, Dr. Wladimir Klitschko interviewte, gab dieser bedrückende Einblicke in das Leben in Kriegszeiten. Der ehemalige Schwergericht-Boxweltmeister und Bruder von Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko appellierte, das Medieninteresse am Krieg in seinem Land dürfe nicht nachlassen. In seiner Heimat werde klar, wie zerbrechlich Leben, Demokratie und Meinungsfreiheit seien. Medien dürften nicht müde werden, müssten auch weiterhin darüber berichten. Der Krieg habe nicht erst am 24. Februar begonnen, sondern schon mit der Annexion der Krim 2014. Das aber sei von westlichen Medien zu wenig thematisiert und die Gefahr unterschätzt worden. Problematisch sei außerdem, dass meist aus Moskau, selten aber aus Kiew berichtet worden sei. „In Kiew und in der Ukraine brauchen wir mehr Vertreter von freien Medien“, forderte Wladimir Klitschko. Er lobte den Einsatz von Bild-Reporter Paul Ronzheimer vor Ort. „Medien sind auch eine Waffe“, formulierte der ehemalige Box-Champion und warnte davor, dass im Falle einer ukrainischen Niederlage alle Demokratien Westeuropas bedroht seien.

Im anschließenden Gespräch mit drei Journalistinnen versuchte Sebastian Pufpaff auszuloten, wie Nachrichten in Krisenzeiten verantwortungsbewusst und glaubwürdig präsentiert werden können, um einerseits Orientierung zu ermöglichen und andererseits möglichst objektiv zu sein. Die TV-Journalistin und RTL-Moderatorin Pinar Atalay vertrat die Meinung, es gehe darum, Nachrichten neutral, aber empathisch zu präsentieren. Dr. Melanie Amann, Mitglied der Chefredaktion des Magazins Der Spiegel, erklärte, im Umgang mit Politiker:innen sei die Grenze zwischen Empathie und nüchterner Sachlichkeit oft schwierig einzuhalten. Im Print-Magazin, vor allem aber bei Social-Media-Inhalten ihrer Redaktion finde sich indes oft keine scharfe Trennung zwischen tatsachen- und meinungsorientierten Beiträgen. Eva Schulz, Journalistin und Moderatorin des funk-Politikformats „Deutschland3000“, plädierte dafür, Haltung zu zeigen, ohne Meinung machen zu wollen. Darüber hinaus müssten Journalist:innen öffentliche Aussagen „übersetzen“, also verständlich machen, dürften aber nichts aus dem Zusammenhang reißen. Auf die Frage, ob nicht auch lösungsorientierter oder positiver berichtet werden müsse, reagierte sie mit der Gegenfrage, ob dann im Gegenzug relevante negative Meldungen geopfert werden dürften.

Das Thema Glaubwürdigkeit prägte auch das Interview von Sebastian Pufpaff mit Björn Wilhelm, dem Programmdirektor Kultur des Bayerischen Rundfunks, über die negativen Schlagzeilen im Zusammenhang mit öffentlich-rechtlichen ARD-Anstalten. Die Aufarbeitung der Fälle beim RBB und NDR hätten gezeigt, was innere Rundfunkfreiheit bedeute, urteilte Björn Wilhelm. Wichtig seien auch in Zukunft Vertrauen und maximale Transparenz. „Vertrauen wird sichtbar, wenn Menschen Angebote nutzen“, lautete die abschließende Formel des Programmdirektors. Ähnlich argumentierten in der abschließenden Expert:innenrunde des Medientage-Gipfels auch vier Manager:innen unterschiedlicher Medienunternehmen. Kaspar Pflüger, der bei Amazon als Country Director das Geschäft von Prime Video für Deutschland, Österreich und die Schweiz verantwortet, sagte dem Streaming-Markt weiteres Wachstum voraus und kündigte an, Prime Video werde im kommenden Jahr mehr deutsche Original-Produktionen bieten als je zuvor.

Till Weidemüller, Country Manager für Deutschland, Österreich und die Schweiz bei der US-amerikanische Filmproduktionsgesellschaft Paramount, erläuterte, in Krisenzeiten werde „tendenziell weniger im Home Entertainment gespart“. Deshalb hoffe er, dass der Start des neuen Streaming-Angebotes Paramount+ am 8. Dezember ein Erfolg werde. Tobias Henning, General Manager bei TikTok Deutschland, unterstrich, TikTok verstehe sich vor allem als Content-Anbieter, über dessen Erfolg vor allem die Content-Kreator:innen entscheiden würden. Sorgen, Inhalte und Nutzerdaten würden nach China wandern, seien im Übrigen unbegründet. Die Server ständen in Singapur und den USA, demnächst auch in Dublin. Der Geschäftsführer agiere ebenfalls von Singapur aus. Ladina Heimgartner, Mitglied des Group Executive Board und Head of Global Media der Ringier AG sowie Geschäftsführerin der Blick-Gruppe, machte abschließend deutlich, dass künftig erfolgreiche Geschäftsmodelle auch außerhalb der Video-Branche entstehen könnten. Zwar würden Printmedien in gedruckter Form bald nur ein Nischenangebot darstellen, die Gattung Text aber werde online überleben. Das liege auch daran, dass textbasierte Informationen schneller zu nutzen seien.