DSA und DMA sind da – was ändert sich in der Praxis?

Der neue Regulierer: staatsfern und professionell

Im Rahmen des Europatages der MEDIENTAGE MÜNCHEN sind Expert:innen der Frage nachgegangen, welche konkreten Veränderungen die beiden soeben verabschiedeten Verordnungen der Europäischen Kommission zur Medienregulierung für die praktische Arbeit haben werden.

Die Veranstaltung wurde von der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) und dem Institut für Europäisches Medienrecht (EMR) angeboten.
Mit dem Digital Service Act (DSA) und dem Digital Market Act (DMA) hat die EU-Kommission zwei maßgebliche Verordnungen zur Regulierung digitaler Plattformen auf den Weg gebracht. Der DSA wurde inzwischen verabschiedet und soll 2024 in Kraft treten – ein ähnlicher Zeitplan ist für den DMA vorgesehen. Die Teilnehmenden der Podiumsdiskussion sollten darüber berichten, welche konkreten Aufgaben jetzt vor den nationalstaatlichen Akteuren liegen. Das Fazit der Debatte: Es dürfe keine Zeit bei der Schaffung von Strukturen und Prozessen verlorengehen, um die Verordnungen umzusetzen. Und es sei zu befürchten, dass die Betreiber der Plattformen massiv juristisch gegen DSA und DMA vorgehen werden. Insofern sei es wenig zielführend, in den Ländern der EU jeweils neue Regulierungsbehörden aufzubauen.
Grundsätzlich, so empfahlen die Expert:innen, sei es nun vordringliche Aufgabe, rechtsverbindlich Begrifflichkeiten zu klären, zum Beispiel für die Formulierung „harmful content“, welche die Kommission gewählt hatte, um solche inhaltlichen Verstöße gegen die Gesetze zu ahnden, die unterhalb der Schwelle zur Strafbarkeit liegen. In diesem Zusammenhang stelle sich zudem die Frage nach einer möglichen Einschränkung der Meinungsfreiheit. Schließlich zeigten sich die Expert:innen darin einig, dass DSA und DMA klar von anderen Verträgen und Gesetzen in ihrem Wirkungsbereich abgegrenzt werden müssten.
Der einvernehmlichen Bewertung der konkreten Folgen bei der Implementierung von DSA und DMA war eine Erörterung offener Fragen vorausgegangen. Dr. Susanne Lackner, stellvertretende Vorsitzende der österreichischen Medienregulierungsbehörde KommAustria, wies aus der Perspektive einer bestehenden nationalen Regulierungsbehörde nachdrücklich darauf hin, dass der Hinweis auf „rechtswidrige Inhalte“, die laut der neuen Verordnungen zu verfolgen und zu sanktionieren seien, im Moment juristisch nicht handhabbar sei. Hier müsse schnellstmöglich Klarheit hergestellt werden. „Für mich steht zudem außer Frage, dass eine künftige nationale Regulierungsbehörde für Online-Plattformen frei von Weisungen dritter Instanzen – insbesondere staatlicher Stellen – sein muss“, betonte Lackner.

Er sei verwundert, dass an der Diskussion keine Vertreter der adressierten Plattformen teilnehme, sagte Dr. Michael Müller. Nach Meinung des stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden des Verbandes Privater Medien e. V. (VAUNET) belege dies, dass sich die betroffenen Unternehmen massiv gegen Beschränkungen ihres Geschäftsmodells zur Wehr setzen würden. Sein Verband begrüße grundsätzlich die jetzt verabschiedeten Verordnungen. Er sehe jedoch enorme Hürden bei der Umsetzung in den Nationalstaaten. Insbesondere Deutschenland und seine föderale Struktur könnten im schlimmsten Fall eine schnelle Implementierung verhindern. „Der Markt wird die jetzt anstehenden Fragen mit Sicherheit allein nicht lösen können. Hier bedarf es der entschiedenen Mitwirkung etablierter Behörden und Institutionen“, lautete Müllers Einschätzung.
Besonders massiv stellen sich nach Überzeugung von David Nejjar, Justiziar beim Deutschen Journalisten-Verband (DJV), die Folgen von DSA und DSM für Journalist:innen dar. Eine sehr große Zahl dieser Kolleginnen und Kollegen sei nicht fest in Verlagshäusern angestellt, sondern arbeite freiberuflich. Sie würden digitale Plattformen als hauptsächliches Distributionsmedium für ihre Produktionen nutzen. „Künftig sind Szenarien vorstellbar, dass ein:e Journalist:in einen Beitrag erstellt, der nach der deutschen Gesetzgebung unproblematisch ist – aber gegen die Vorgaben an die Plattformen hinsichtlich ‚harmful content‘ verstößt und nicht veröffentlicht werden darf, weil etwa nackte Menschen im Beitrag über das Saunieren zu sehen sind. Hier muss eine Lösung gefunden werden, die alle Interessen berücksichtigt“, skizzierte Nejjar ein Beispiel.
Die Landesmedienanstalten in Deutschland sind medienpolitischer Spiegel der föderalen Struktur in der Bundesrepublik. Sie könnten auf eine jahrelange Expertise in der Regulierung von Medieninhalten verweisen und sind nach Überzeugung von Dr. Wolfgang Kreißig, Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM) und Präsident der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg (LfK), besonders dafür geeignet, auch die Plattformen zu regulieren. „Die DLM hat bereits eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich unter anderem mit Fragen befasst, wie die bisher geltende Kulturhoheit der Länder auf eine supranationale Ebene übertragen werden kann. Wie befassen uns auch damit, wie es gelingen wird, Anbieter von Pornografie im Internet unter die Regularien der neuen Verordnungen zu subsumieren“, erklärte Kreißig.
Einigkeit bestand unter den Teilnehmenden in der Bewertung, dass jedes System, das künftig die Regulierung der Plattformen übernehmen werde, nicht neue und damit komplexere Strukturen schaffen dürfe. Das Kooperationsgebot verschiedener staatlicher Ebenen – Bund und Länder – erschwere diesen Prozess zwar ebenso wie die unterschiedlichen Vorstellungen einzelner EU-Mitgliedsstaaten. In Anbetracht der medien- und gesellschaftspolitischen Bedeutung von DSA und DMA müssten aber schnellstmöglich Wege zur wirksamen Durchsetzung der beiden Verordnung gefunden werden. Unabhängigkeit, Professionalität und Wirksamkeit der Regulierung auf nationalstaatlicher Ebene blieben die zentralen Anforderungen bei der Etablierung künftiger Strukturen und Prozesse für Analyse, Bewertung und Regulierung der marktbeherrschenden Online-Plattformen.