Gute Unterhaltung wünscht der Medienstaatsvertrag

Öffentlich-rechtlich oder privat: Wer unterhält die Zuschauer:innen besser? Die Tektonik des Gesamtangebots im Blick

Mit dem 3. Medienänderungsstaatsvertrag, den die Ministerpräsident:innen in den kommenden Tagen beschließen und die Länderparlamente voraussichtlich im Sommer 2023 ratifizieren werden, wird unter anderem geregelt, dass Unterhaltungsformate im öffentlich-rechtlichen Rundfunk künftig noch stärker dessen Profil entsprechen sollen.

Über diese eher vage Absichtserklärung in der Gesetzesvorlage haben Jörg Schönenborn, stellvertretender Intendant des Westdeutschen Rundfunks (WDR), und Claus Grewenig, Vorstandsvorsitzender des Verbandes Privater Medien e.V. (VAUNET), während der MEDIENTAGE MÜNCHEN diskutiert.
Beide betonten zunächst die gesellschaftliche und medienpolitische Bedeutung, die sowohl öffentlich-rechtlicher als auch privatwirtschaftlicher Rundfunk hätten. Zwar seien beide Systeme unterschiedlich strukturiert und würden verschiedene Schwerpunkte setzen – der Bereich Unterhaltung gehöre aber bei beiden zu einem Kernelement ihrer Tätigkeit.
Schönenborn, der zugleich Programmdirektor Information, Fiktion und Unterhaltung im WDR ist und auch als Koordinator Fernsehfilm innerhalb der ARD fungiert, wies zunächst auf die Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hin. Er solle für alle Teile und Gruppen der Gesellschaft Angebote liefern. Diesem Angebotskanon komme eine integrierende Funktion zu und die entsprechende Vielfalt im Programm dürfe nicht zu einem permanenten Blick auf Mehrheiten führen, sondern müsse auch kleinste Bevölkerungssegmente erreichen und ansprechen. Unterhaltungssendungen in öffentlich-rechtlichen Programmen dürften deshalb nicht als reine Spaßformate verstanden werden: „Unsere Definition von Unterhaltung endet nicht bei Shows oder fiktionalen Stoffen. Wir transportieren relevante Themen beispielsweise auch über Krimis oder Dokumentationen ins Programm. Beide können unterhaltende und aufklärende Elemente aufweisen. Die Trennlinie lässt sich also nicht exakt ziehen. Entscheidend bleibt die Vielfalt unserer Angebote, die sich auch in Unterhaltungsangeboten widerspiegelt.“
Dem stimmte grundsätzlich auch Claus Grewenig zu, der als Bereichsleiter Medienpolitik bei RTL Deutschland tätig ist: „Wir können und wollen nicht über Einzelformate sprechen und darüber diskutieren, ob es sich dabei um Unterhaltung oder Information handelt. Problematisch ist aus unserer Sicht, dass die öffentlich-rechtlichen Anbieter ihre Unterhaltungsformate zunehmend in die Hauptnutzungszeit und Prime-Time am Abend verlagern. Das setzt uns werbefinanzierte und quotenabhängige Sender massiv unter Druck.“ Öffentlich-rechtliche Anstalten haben seiner Meinung nach die Möglichkeit, ohne Blick auf Einschaltquoten Neues zu erproben. Ihm, Grewenig, sei wichtig, dass die Gremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten auf die Ausgewogenheit des Programms achten.
Die Programmstruktur der öffentlich-rechtlichen Anbieter habe sich, so erklärte Schönenborn, spätestens seit 2019 massiv verändert, dieser Prozess werde fortgeführt. Im Zuge dieser Veränderungen hätten die Sender beispielsweise den „Doku-Montag“ oder den „Film-Mittwoch“ etabliert – Formate, die nicht primär der Unterhaltung zuzuschreiben seien, sondern inhaltliche und formale Vielfalt zu einer bevorzugten Sendezeit ins Programm heben würden. „Im Übrigen frage ich mich, ob der Begriff ‚Prime-Time‘ angesichts verschiedener neuer Ausspielwege und einer Diversifizierung der Nutzergewohnheiten noch Gültigkeit besitzt. Uns kommt es primär auf die Einbeziehung aller Bevölkerungsgruppen an“, argumentierte der für Information, Fiktion und Unterhaltung zuständige WDR-Programmdirektor.
Die theoretischen Diskurse zum Begriff Public Value hätten gezeigt, dass es kultur- und medienpolitisch höchst komplex und wenig zielführend sei, eine entsprechende Handlungsmaxime zu finden. Die privatwirtschaftlichen Anbieter plädierten deshalb dafür, im konkreten Handeln darzustellen, was Unterhaltung bedeute, sagte Claus Grewenig. Entsprechend werde er auch gegenüber Vertreter:innen der Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks argumentieren: „Wir werden den Gremien keine Listen von guten oder schlechten Unterhaltungsformaten vorlegen, aus denen sie auswählen müssen. Unser Anliegen ist, Rundfunkräte dafür zu sensibilisieren, mit dem neuen Medienstaatsvertrag als Basis noch stärker auf die Ausgewogenheit der öffentlich-rechtlichen Programme zu achten als bisher. Ich denke, dass wir zwischen den etablierten und wichtigen Säulen der Rundfunklandschaft in Deutschland dabei einen guten Weg finden werden, der im Übrigen unbedingt den Hörfunk berücksichtigen muss. Wichtig ist eine tektonische Verschiebung der Programmanteile, nicht die Analyse einzelne Angebote.“
In diesem Zusammenhang diskutierten die beiden Diskussionsteilnehmer auch über die künftigen Veränderungen für Produzenten, die sich möglicherweise aus dem neuen Medienstaatsvertrag ergeben. Jörn Schönenborn konnte in der geplanten Gesetzesnovelle keine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für Produktionsfirmen erkennen. Im Gegenteil sehe er darin eine Chance für eine kreative und ausdifferenzierte Produzenten-Landschaft, die sich in vielfältigen Formaten beweisen könne. „Die Frage in dem Zusammenhang ist lediglich, welchen finanziellen Rahmen die Beitragszahler:innen bereit sind, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu ermöglichen“, erklärte der WDR-Programmdirektor.
Nach dem Konfliktpotenzial zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Anbietern vor dem Hintergrund des neuen Medienänderungsstaatsvertrags befragt, entgegnete Grewenig, er könne für seinen Verband sagen, dass man sich in laufenden Diskursen verständigen und keinesfalls den Klageweg beschreiten werde, um die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu verbessern. Grewenig und Schönenborn betonten zudem ihr Vertrauen, das sie in die Aufsichtsgremien des Rundfunks setzen würden, um Benachteiligungen für das eine oder andere System zu verhindern und den Mediennutzer:innen umfassende und hochwertige Programmangebote machen zu können. „Unterhaltung ist Teil eines Ganzen – und dieses Ganze soll letztlich dazu beitragen, unsere Gesellschaft zusammenzuhalten“, lautete Schönenborns Devise.